Der Gewinner bisher: Die Bombenwerfer. Noch so viel Friedensbemühungen verdrängen diejenigen nicht von den Titelseiten, die auf Gewalt setzen. Gewalt zieht unsere Aufmerksamkeit an, sie verwandelt unsere Wahrnehmung, sie dreht Absichten und bildet die Folien, unter denen wir die Welt wahrnehmen. Statt also über Frieden zu sprechen, dominierte abgebrannte Botschaften die Titelseiten. So gewinnt die Gewalt.
Dabei denken wir schon seit Jahrzehnten über einen möglichen oder unmöglichen Frieden im Nahen Osten nach.
Es gibt keine bessere Startrampe in den Nahen Osten als den Libanon. Wo sonst leben seit Jahrhunderten, Jahrtausenden verschiedenste Religionen zusammen auf so engem Raum? Diese Tradition und Geschichte war es dann auch, die den Charakter der Reise des Papstes ausmacht. Wie im vergangenen Jahr in Benin besuchte der Papst ein Land und dadurch erklärtermaßen eine ganze Region.
Benedikt XVI. kam nicht mit dem großen Wurf für Lösungen in den Nahen Osten. In der Pressekonferenz im Flugzeug nannte er sein Schreiben eine „Road Map“ für die Zukunft. Der Begriff ist aufgeladen, damit bezeichnet man in der politischen Welt die – immer wieder scheiternden – Pläne, die alle Beteiligten zu einem bestimmten Vorgehen zwingen sollen. Aber was der Papst mitbrachte, war keine politische Handlungsanweisung. Es war und ist eher harte Kost, was der Papst uns mit seinem postsynodalen Schreiben anbietet.
Keine Politik?
Das letzte mal, dass ein Papst im Libanon war, war der Besuch von Johannes Paul II., der das Land unter syrischer Besatzung vorfand und die Christen den Papst als Unterstützer ihres Widerstandes sagen. Legendär war die Ansprache des Patriarchen Nasrallah Sfeir, der diesen Widerstand mit dem der Katholiken in Polen gegen den Stalinismus verglich.
Nichts dergleichen bei dieser Reise.
Der Vatikan und alle Beteiligten hatten im Vorfeld immer und immer wieder betont, dass dies keine politische Reise sei. Und das war sie auch nicht, jedenfalls nicht in dem Sinn, wie die von Johannes Paul II. es in ihrer Symbolkraft war. Aber „politisch“ müssen wir weiter verstehen als das reine sich Einsetzen für dies oder das. Auch ein Friedensappell und das sich Heraushalten aus einem Konflikt ist in einer so tief von Konflikten geprägten Region ein eminent politischer Akt.
Es ist politisch, Aufmerksamkeit auf diejenigen zu lenken, die die Weltöffentlichkeit nicht wirklich sehen will. Es ist politisch, immer und immer wieder die Wichtigkeit von Religionsfreiheit zu betonen, wie es der Papst tut. Und nicht nur die Freiheit der Religionsausübung, sondern wirkliche Religionsfreiheit. Es ist politisch, den Libanon zu einer Zeit zu besuchen, in der er unter den Massen von Flüchtlingen aus Syrien leidet wie etwa Jordanien auch. Und in all diesen immer auch politischen Zusammenhängen sprach der Papst von Versöhnung.
Die Road-Map
Das mag erst einmal ein wenig naiv klingen, es ist aber die einzige Lösung. Parteipolitisch wird es andere Wege geben, Ansprachen, Kompromisse, Machtspiele, Absprachen, mitlitärische Lösungen. Aber Frieden wird es dadurch nicht geben. Die Verlierer werden sich immer wieder Fundamentalisten oder anderen Waffenbesitzern in die Arme werfen. Denn wie uns unsere Medien jeden Tag zeigen: Gewalt zahlt sich aus, ein wenig Gewalt nur und man darf die Titelseiten dominieren.
Dagegen kann man nur den Gedanken, dass Versöhnung und damit Verstehen und Dialog Frieden bringen können. Naiv, ja: aber es geht nicht anders.
Das ist die Idee, die letztlich hinter der Road Map des Papstes steht.
Über Frieden sprechen heißt über den Menschen sprechen
„Der Zusammenhalt der Gesellschaft wird durch die ständige Achtung der Würde jedes Menschen gewährleistet ebenso wie durch den verantwortlichen Beitrag eines jeden einzelnen entsprechend seiner Fähigkeiten zum ihrem Besten. Um den für den Aufbau und die Festigung des Friedens notwendigen Dynamismus sicherzustellen, muß man immer wieder zu den Grundlagen des Menschen zurückkehren.“
Das sagte der Papst an diesem Samstag in seiner Ansprache vor den Vertretern des Staates und der Religionen. Um über Frieden sprechen zu können, muss man über den Menschen sprechen und darüber, was zu einem Menschsein dazu gehört. In den Worten des Papstes:
„Die Würde des Menschen ist nicht zu trennen von der Heiligkeit des vom Schöpfer geschenkten Lebens. (..) Die Wirksamkeit des Einsatzes für den Frieden hängt davon ab, welche Auffassung vom menschlichen Leben die Welt haben kann. Verteidigen wir das Leben, wenn wir den Frieden wollen!“
Der Papst spricht von einer „Grammatik“, die dem Menschen eingeschrieben ist. Grammatik ist selbst ein Regelwerk aber auch die Praxis, nach der wir Kommunizieren. Heiligkeit des Lebens gehöre zu dieser Grammatik dazu. Ohne diesen Bezug auf das Heilige unseres Lebens, ohne also einen Bezug über das rein Innerweltliche hinaus, sei ein Aufbau eines wahren Friedens nicht möglich.
Achtung vor dem Anderen, eine Erziehung zum Frieden, Förderung der Familien als dem ersten Ort des Erlernens von Zusammenleben: Das sind die Schritte, die der Papst vorschlägt. Das ist alles nicht neu, aber es ist wichtig, dass es wieder und wieder ausgesprochen wird. Vor allem anderen aber braucht es die Freiheit, Benedikt XVI. zitiert das Zweite Vatikanische Konzil.
„Der Mensch kann sich aber nur frei zum Guten hinwenden, denn „die Würde des Menschen verlangt, daß er in bewußter und freier Wahl handle, das heißt personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem innerem Drang oder unter bloßem äußerem Zwang“ (Gaudium et spes. 17).“
Bereits bei der Pressekonferenz im Flugzeug hatte der Papst sehr deutlich den arabischen Frühling als Freiheitsbewegung gut geheißen. Er sei etwas Positives, weil er ein Mehr an Demokratie, an Freiheit und eine Erneuerung der arabischen Identität gebracht habe. Das sind Schritte auf dem Weg zum Frieden, wie der Papst ihn zeichnet.
Ohne Religion kein Mensch
Noch einmal geht der Papst auf den Zusammenhang zwischen Frieden und Menschsein ein:
„Der Dialog ist nur in dem Bewußtsein möglich, daß es Werte gibt, die allen großen Kulturen gemeinsam sind, weil sie in der Natur des Menschen verwurzelt sind. Diese Werte, die so etwas wie ein Nährboden sind, bringen die authentischen und charakteristischen Züge des Menschlichen zum Ausdruck. Sie gehören zu den Rechten jedes Menschen. In der Bestätigung der Existenz dieser Werte leisten die verschiedenen Religionen einen entscheidenden Beitrag. Vergessen wir nicht, daß die Religionsfreiheit das Grundrecht ist, von dem viele andere abhängen. Sich zu seiner Religion zu bekennen und sie frei zu leben, ohne sein Leben und seine Freiheit in Gefahr zu bringen, muß jedem möglich sein. Der Verlust oder die Schwächung dieser Freiheit beraubt den Menschen des heiligen Rechts auf ein ganzheitliches Leben auf geistlicher Ebene.“
Das widerstrebt unserem westlichen Denken. Wir nehmen doch eher an – jedenfalls ist das der Mainstream – dass je weniger Religion, desto mehr Frieden. Religion sei eine Quelle der Unordnung, mit Verweis auf die jüngsten Anschläge. Aber genau das sieht der Papst nicht so. Im Gegenteil. Die im Westen so beliebte Toleranz hebe Diskriminierung nicht auf, so Benedikt XVI., mitunter verstärke sie diese sogar.
„Die Religionsfreiheit hat eine für den Frieden unverzichtbare gesellschaftliche und politische Dimension! Sie fördert eine Koexistenz und ein harmonisches Leben durch den gemeinsamen Einsatz im Dienst edler Anliegen und durch die Suche nach der Wahrheit, die sich nicht durch Gewalt aufdrängt, sondern „durch die Kraft der Wahrheit selbst“ (Dignitatis humanae, 1), jener Wahrheit, die in Gott ist. Denn der gelebte Glaube führt stets zur Liebe. Der echte Glaube kann nicht zum Tod führen. Der Friedensstifter ist demütig und gerecht. (..) Die Untätigkeit der rechtschaffenen Menschen darf nicht zulassen, daß das Böse triumphiert. Noch schlimmer aber ist es, gar nichts zu tun.“
Konkrete unpolitische Politik für den Libanon
„Diese paar Überlegungen über den Frieden, die Gesellschaft, die Würde des Menschen, über die Werte der Familie und des Lebens, über den Dialog und die Solidarität können nicht bloß formulierte Ideen bleiben. Sie können und sollen gelebt werden. Wir befinden uns im Libanon, und hier sollen sie gelebt werden. Der Libanon ist jetzt mehr denn je dazu aufgerufen, ein Vorbild zu sein. Politiker, Diplomaten, Vertreter der Religionen, Männer und Frauen aus der Welt der Kultur, ich fordere euch daher auf, gelegen oder ungelegen in eurer Umgebung mutig Zeugnis davon zu geben, daß Gott den Frieden will, daß Gott uns den Frieden anvertraut.“
Ganz einfach ausgedrückt in den Worten des Pressesprechers des Vatikan, Pater Federico Lombardi:
„Nun gut, was heißt ,konkret’? Wenn ich ein guter Christ bin und mich in der Gesellschaft engagiere, nicht korrupt bin in meiner wirtschaftlichen Tätigkeit und etwa als Journalist die Wahrheit sage usw., dann mache ich es schon richtig! Das ist es, was ein Christ machen muss. In diesem Sinn ist der Papst ein Hirte, der den Christen sagt, ihr müsst mit Kohärenz ein gutes Zeugnis als Christen geben – das würde die Welt verändern.“