Gebetsmühlenartig klingt es in diesen ersten Wochen des synodalen Weges: Aufeinander hören sollen wir, nicht nur betonierte Positionen verteidigen. Und selber gehöre ich ja auch zu denen, die meinen, nur das Hören bringt uns überhaupt weiter.
Die geistliche Tradition kennt da das Prinzip des „Rettens der Aussage des Anderen“. Ignatius von Loyola stellt das seinem Exezitienbuch voran (Nr. 22), es sei vorauszusetzen, dass „jeder gute Christ bereitwilliger sein muss, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen“.
Aufeinander hören
Da steckt eine Menge drin, auch über die offensichtliche Aussage hinaus. Aber bleiben wir bei dieser Intention. „Wer bin ich, zu urteilen“ fragt der Papst immer mal wieder, berühmt bei einer Pressekonferenz im Flieger, aber auch bei Predigten.
Nicht urteilen, sondern aufeinander hören und verstehen wollen. Wobei, mit dem Urteilen kann man viel mehr verdienen, Klickzahlen zum Beispiel oder auch Selbstbestätigung. Ich sage das nicht zynisch, sondern beobachtend. Wer die vielen Webseiten anschaut, die von Negativität leben, dem kommt fast automatisch das Ignatius-Zitat in den Sinn.
Drei Dinge sind es, die ich an diesem Zitat und damit dieser Grundhaltung des „Rettens“ schätze.
Gegen den ersten Eindruck kommt man nur schwer an
Zum einen ist es, dass man ein Gespräch am Laufen hält. Wir sind durch unsere Evolution darauf getrimmt, schnell und instinktiv Entscheidungen über Situationen zu treffen. Und gegen den so entstandenen ersten Eindruck kommen wir nur schwer an. Der sitzt. Und kann verhindern, dass sich Gespräche entwickeln, welche diesen Namen auch verdienen.
Das Mühen um das Verstehen will darüber hinaus. Ignatius benutzt den Komparativ, also „bereitwilliger“ sein. Das schließt ein Urteil nicht aus, sagt aber deutlich, was vorzuziehen sei. Er formuliert eine bevorzugte Option, ein geistliches ‚im Zweifel für den Angeklagten’. Und das alles dient der Fortsetzung des Gesprächs, über die Kollision von Meinungen hinaus.
Zweitens hat das auch schon was von Unterscheidung. Also davon, dass wir uns gegen vorgegebene Meinungen zu wehren lernen. Selbstkritik wird möglich, eine neue Facette unserer bunten und spannenden Welt kommt in den Blick. Die Gefahr ist, dass ich meine eigene Meinung revidieren muss, es ist also ein echter Schritt, den wir tun müssen.
Die Gefahr, beim Hören die eigene Meinung ändern zu müssen
Der dritte Punkt aber ist mir in den letzten Wochen erst so richtig aufgegangen. Die vielen Meinungen und vor allem Urteile über den synodalen Weg der Kirche oder auch über Papst Franziskus oder einzelne Bischöfe verfolgend stelle ich mir zunehmen die Frage, wie die ganzen Verurteiler im Netz mit so viel Negativität in der Seele überleben können. Das Ignatius-Prinzip des eher Retterns als Verurteilens hat auch die Funktion, mich selber vor der Negativitäts-Vergiftung zu bewahren.
Negativ ist einfach. Das kann jeder und das gibt auch sofort den Selbstbestätigungs-Kick. Aber Negativität vergiftet. Weise legt Goethe seinem Mephisto in den Mund, er sei „der Geist, der stets verneint“. Mittlerweile lese ich die meisten Stücke des Chors der Negativen gar nicht mehr, nicht weil mich die Meinung nicht interessieren würde, sondern weil ich diese geballte und dauernde Negativität nicht ertragen will.
Positiv sein macht verwundbar, der zynische Kritiker ist vermeintlich stärker. Aber er macht nur kaputt. Er baut nicht auf. Ist nicht kreativ, ist ohne Geist. Kritik ist gut, Urteile müssen sein, aber vor der Negativität bewahrt uns das Prinzip, eher retten als verurteilen zu sollen.
Es bewahrt vor Negativität
Noch einmal zurück zum Komparativ, man soll „bereitwilliger“ sein. Auch das bewahrt vor zu schnellen Schlüssen. Es ist und bleibt ein Abwägen, ein Unterscheiden, kein absolutes Prinzip. Kein „du musst verstehen!“. Es bleibt menschlich.
Und damit erst wird es wirklich kreativ und nützlich für einen geistlichen Prozess, oder auch nur für ein menschliches Miteinander. Kein Zwang, kein kategorischer Imperativ. Kein Besserwisser, keine Kommunitaktions-Mechanik.
…
Bei Ignatius gehört das Zitat in die vorbereitenden Punkte für denjenigen, der Exerzitien begleitet. Vollständig lautet es:
„Damit sowohl der, der die geistlichen Übungen gibt, wie der, der sie empfängt, mehr Hilfe und Nutzen haben, ist vorauszusetzen, daß jeder gute Christ bereitwilliger sein muß, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe; und wenn das nicht genügt, suche er alle angebrachten Mittel, damit jener, indem er sie gut versteht, sich rette.“