Kunst schaue ich mir an, wann immer ich die Gelegenheit dazu habe, alte und besonders gern auch neue und zeitgenössische. Kaum ein Medium, das ein besseres Abbild unserer Zeit anbietet. Und derzeit ist besonders viel davon an einem Platz zu sehen, in Kassel läuft die Documenta 13, der ich vor einiger Zeit einen Besuch abgestattet habe. Zugegeben, ein Tag ist viel zu wenig für diese Großschau, aber wenn man sich beschränkt und nicht alles sehen und alles in Tiefe betrachten will, reicht es für mehr als nur einen ersten Eindruck.
Begonnen hat mein Besuch in Kassel bei einem Stück Kunst, das eigentlich gar nicht zur Documenta13 gehört. Im Vorfeld hatte es einen Konflikt gegeben zwischen den Ausstellungsmachern und der katholischen Kirche: Den Turm von Sankt Elisabeth, mitten in Kassel und direkt am Hauptplatz der Documenta, schmückt ein Werk von Stephan Balkenhol, was die künstlerische Leiterin der Documenta, Carolyn Christov-Bakargiev, wörtlich als „Bedrohung“ empfand. Die evangelische Kirche wollte ebenfalls anlässlich der Documenta Kunst zeigen, zog diese Idee dann aber zurück, als die Ausstellungsleitung ihr Missfallen bekundet hatte. In meinem Kopf steckte also die Gretchenfrage: Documenta, Wie hältst du es mit der Religion?
Theorie und Anschauung
Die Dokumenta war im Vorfeld mit viel Theorie belastet worden. Gerade die Verantwortliche für die Auswahl der Kunst, Carolyn Christov-Bakargiev, ist mit vielen rest absurd klingenden Ideen in den Medien aufgetreten. Ich hatte viele Gedanken befürchtet und Belehrung und abstrakte Konzepte. Das Betreten des Documentageländes hat mich aber schnell eines Besseren belehrt. Es geht nicht um Theorie, um Welterklärung, um Posthumanismus und all die Begriffe, die zuvor genannt wurden. Es geht um Schauen und Hören. Es geht um Kunst.
Kunst – das verbinden wir vor allem mit dem Sehen. Bilder und Skulpturen haben Dauer, nicht so wie der flüchtige Ton. Aber es sind vor allem die audiovisuellen Werke, die die Aufmerksamkeit erregen.
Audiovisueller Schwerpunkt
Mika Taanila zeigt drei Filme nebeneinander, die den Bau eines Atomkraftwerkes zeigen. Mensch und Maschine, Natur und Energie, Zeit und Wachsen nebeneinander.
News from nowhere besteht aus zwei Filmen, ebenfalls nebeneinander gezeigt, eine Form, wie sie bereits Alltag in der Kunst geworden ist. Es geht um Ordnung und Labor, Bestimmung und Funktion auf der einen Seite und Chaos und Durcheinander, Kunst, Rohheit, Dreck und Schaffen auf der an anderen Seite. Beide Szenen spielen in einer irgendwie postapokalyptisch anmutenden Situation, beide können unsere Zukunft sein, es findet kein Dialog zwischen ihnen statt, stattdessen sitzt man davor und fragt sich, worauf wir jetzt zugehen. Dabei ist das alles – was es auch erst zu Kunst macht – nicht pädagogisch oder moralisch mit Absicht versetzt.
Beeindruckend sind auch die künstlerischen Aufarbeitungen dokumentarischen Materials. Haníbal Lopez zeigt eine Performance, in der ein Mitglied der guatemaltekischen Todesschwadron von seinen Taten berichtet. Rosella Biscatti lässt uns an Terroristenprozessen in Italien in den 80er Jahren teilnehmen, der Ausstellungsraum zeigt dazu Betonblöcke aus dem Hochsicherheitsgericht auf dem Forum Italico in Rom, die bei Abbruch des Gebäudes in Sicherheit gebracht wurden. Vergangenheit und Bewältigung und Erinnerung und Gegenwart der Reste kommen zusammen.
Serach of Vanished Blood
Einer meiner persönlichen Höhepunkte: Nalini Malanis Kunstwerk „Search of Vanished Blood”. Eine Installation aus einer Kombination aus Video- und Schattenspiel in der Dokumentahalle. Das Werk greift pakistanische Dichtung auf, aber auch demjenigen, dem sich das nicht erschließt, bietet sich ein sinnenreiches Schauspiel über den ganzen Raum, umrahmt von Musik und psychedelischen Tönen.
Durch fünf an der Decke angebrachte sich drehende Glaszylinder werden 6 verschiedene Filme an die Wand projiziert, rundum im ganzen Raum entstehen Bilder durch Überblendungen und Wachselspiel. Dazu kommen die Schatten, die die auf den Glaszylindern angebrachten Figuren in die Filme werfen. Ebenso surreal wie die Optik ist die Akustik, die Töne begleiten und kontrastieren, verzerren und zeigen ihre eigenen Klangbilder.
Das ist die eine Seite. Anderes ist weniger beeindruckend und kommt aus dem Feld der Beliebigkeit leider nicht hinaus. Abgespielte Protestlieder aus der Musikbox mit einem Liederbuch dazu, die Texte an die Wand gemalt. Auch Sonja Ivecovic Vitrine mit Esel-Stofftieren, die alle die Namen berühmter Revolutionäre und unabhängiger Geister tragen – The Disobedient – überzeugt nicht wirklich. Auch gerät einiges der überall anzubindenden Videokunst dann doch etwas zu gewollt. Das trübt aber nicht das überwiegende Bild der Vielfalt und der Qualität, das sich auf der Dokumenta zeigt.
Zum Schluss noch einmal zurück zu meiner Ausgangsfrage: Und wie war das nun mit der Religion?
Vielleicht hat die Ausstellung sogar ein wenig Angst vor Religion. Die eingangs erwähnte Äußerung der Macherin kann so verstanden werden, aber auch der Titel des Buches, das die Documenta begleitet. „Buch der Bücher“ heißt es, und an diesem Titel überhebt sich die der Wille zur Ironie. So unglaublich einmalig und wegweisend ist diese Ausstellung nun wirklich nicht, spirituell möchte ich sie auch nur bedingt nennen. Der Titel wirkt, als wolle man dadurch jede Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung vermeiden.
Aber: Die Kunst befragt das Menschliche, die Zukunft, die Erinnerung und das Hoffen und Sehnen, alles Dinge, zu denen der Glaube etwas beizutragen hat. So gesehen steckt auch in dieser Documenta Vieles in Sachen Religion, was sich zu erkunden lohnt, mag das die Ausstellungsmacherin nun wollen oder nicht.