Es ist kein Besuch beim Psychologen und kein Arztbesuch, wenn der Papst von Krankheiten spricht. Es sind geistliche Einsichten, die in die Sprache von Medizin verpackt sind. Aus aktuellem Anlass, hier ein Zitat von der Papstmesse am Montag, der Papst sprach über die Strenge in Glaubensdingen. „Hinter der Strenge versteckt sich etwas im Leben eines Menschen. Die Strenge ist keine Gabe Gottes. Die Milde sehr wohl; auch die Güte, das Wohlwollen, auch das Vergeben. Aber die Strenge nicht! Hinter der Strenge versteckt sich immer etwas; in vielen Fällen ist das ein Doppelleben, aber da ist auch etwas Krankhaftes. Wie sehr leiden doch die Strengen! Wenn sie ehrlich sind, dann merken sie, dass sie leiden. Weil es ihnen nicht gelingt, die Freiheit der Kinder Gottes zu haben. Weil sie nicht wissen, wie man im Gesetz des Herrn voranschreitet. Weil sie nicht selig sind. Sie leiden so sehr! Sie scheinen nach außen gut zu sein, weil sie das Gesetz befolgen; aber dahinter steckt etwas, das dafür sorgt, dass sie nicht gut sind. Entweder sind sie bösartig und heuchlerisch, oder sie sind krank. Sie leiden…“ (Papstmesse am 24. Oktober 2016).
Bei den berühmt-berüchtigten fünfzehn Krankheiten der Seele sind wir diesem Phänomen bereits ausführlich begegnet, der Ausdruck des „spirituellen Alzheimer“ zieht immer wieder Kritik auf sich, aber hier kann man noch einmal sehen, wie der Papst medizinische Metaphern verwendet. „Sie leiden, sie sind krank“ ist genau so zu verstehen.
Abgesehen davon ist dieses kleine kurze Stück eine ganz starke Aussage. So etwas Ähnliches habe ich neulich aus dem Mund von John Cleese gehört. Der sagt in einem kurzen Video „Wenn Menschen ihre eigenen Emotionen nicht im Griff haben, beginnen sie damit, das Verhalten anderer zu kontrollieren.“ Das ist die Strenge, die der Papst beklagt.
Wenn er also über die Gesetzeslehrer schimpft oder die Gesetzes-Religion beklagt, die in der Bibel zu finden ist, dann ist das nicht gegen die historischen Figuren von damals gerichtet. Das ist schlicht die geistliche Einsicht, dass es diese Haltungen heute gibt und dass man sie mit den Erzählungen der Bibel fassen kann, weil genau sie gemeint sind.
Keine Kontrolle also über den anderen, keine Strenge, sondern der ehrliche Blick auf sich selber. Denn dann merkt man, dass Barmherzigkeit das Gebot der Stunde ist.